Klaus Zylla

Künstlerischer Lebenslauf

1953 Klaus Zylla wird im Brandenburger Cottbus geboren.

1973 Der 20-Jährige beendet seine Ausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur.

1974-1975 Er wird zum Wehrdienst eingezogen. Dort beginnt er, anonym, mit der Anfertigung von Karikaturen von Obrigkeiten und Offizieren. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit unter den Wehrdienstlern und werden zwischen diesen herumgereicht. Er gestaltet die Entlassungszeitung der Soldaten mit Karikaturen der Entlassenen.

1975-1976 Zylla studiert Baustoffverfahrenstechnik an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar. In der Studienzeit fertigt er Daumenkinos mit karikativ anmutenden Szenen, die bei seinen Kommilitonen Verbreitung finden. Nach dem Beginn seines Studiums, schält sich schnell heraus, das es nicht seinen Neigungen entspricht, daraufhin folgt die Exmatrikulation.

1977-1980 Arbeit als Siebdrucker in einer Werbewerkstatt. Erhebliche Bemühungen seinerseits ermöglichen ihm ein paralleles Abendstudium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, es entstehen erste Werke im künstlerischen Siebdruck.

1986 Befruchtet von der kreativen und intellektuellen Szene am Prenzlauer Berg, die die Grenzen der Legalität auslotet, nutzt Zylla Fehldrucke und Siebe aus seiner Werkstatt für eigene künstlerische Arbeiten. | Geburt der Tochter Caroline.

1991 Erste Ankäufe grafischer Werke durch die Berlinische Galerie. | Erste Übersee-Ausstellung im Goethe-House in New York. | Beginn Vertretung durch Galerie Johannes Zielke, sowie Galerie Kunst & Beterschap in den Niederlanden.

1998 Beginn Vetretung durch Galerie Zähringer in der Schweiz.

2019 Beginn der Veröffentlichung von Karikaturen in der, alle 14 Tage erscheinenden, Kolumne "Unterm Strich" der Berliner Zeitung, zusammen mit Texten von Wawerzinek. | Anfang der Beschäftigung mit dem Material Torf. Mit dem ersten Werk der Torfbild-Serie unterstützt er das Denkmalprojekt "Sophia Hedwig von Pommern". | Teilnahme am Kunstprojekt "Aufbruch Herbst 89" zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls (Hier zum Audiointerview)

Heute lebt und arbeitet der Künstler in Berlin, Loitz und Portugal, seine Arbeiten werden dem Neo-Expressionismus zugeordnet, Kunstkritiker bezeichneten ihn auch als Expressionistischen-Dadaisten.

"Mit seiner Arbeit in der Tradition von CoBrA [...] und der "Art Brut", sind Zyllas übertrieben gestaltete Charaktere gleichzeitig stark und entblößt, gewalttätig und chaotisch, skurril und energisch."
-nyarc (The Brooklyn Museum/The Museum of Modern Art/The Frick Collection), 21.07.2010 (Übersetzung)

Unterm Strich

(unvollständig)

Galerie

"In der Anfangsphase wurde ich öfters missverstanden oder belächelt.
In dieser Zeit war es mein großes Glück, dass ich meine Kinder als Verbündete hatte."
-Klaus Zylla, 17.06.2020

Ateliers

Portugal

Das Atelier in Reguengo Pequeno bietet dem Künstler die Ruhe und Abgeschiedenheit, die er braucht, um seine Visionen auf Leinwand zu bringen. Die großen, lichten Räume laden zu großformatigen Arbeiten ein und vermitteln ein Gefühl von Freiheit.

Weiträumig

Das gesamte Obergeschoss ist eine große Fläche die zu beiden Seiten den Blick in die Ferne ermöglicht, denn die Villa liegt auf einem Berg.

Malerisch

Das Grundstück beinhaltet einen weiträumigen Garten, der mit seinen grotesken Steinformationen Grundlage für viele Schöpfungen war. Hier enstehen vor allem künstlerische Objeke wie Keramiken und Holzarbeiten.

Teezeremonie

Zu jeder Reise nimmt Zylla sein Teeservice mit, denn dieses ist ebenso bedeutend für seine Arbeit wie seine Malutensilien. Tee dient ihm nicht nur zur Hydrierung, sondern auch als unerschöpfbarer Brunnen der Erholung und Inspiration. Deshalb begleitet jede Arbeit eine traditionelle asiatische Teezeremonie.

Berlin

Im Berliner Lichtenberg liegt ein gemütliches, ruhiges Atelier. Regelmäßig baut der Künstler seine mobile Siebdruck Werkstatt auf und arbeitet an Druckgrafiken, auch kleinformatige und experimentelle Arbeiten werden hier angefertigt.

Kunsthauptstadt

Das in der Kunstszene zentral gelegene Berlin ermöglichte Zylla die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an Galerien und Museen. Von Berlin aus, fanden seine Werke den Weg in internationale Ausstellungen von den USA bis nach Korea.

Inspiration

Parallel zur Arbeit an einem Bild, spielt er stets eine Partie Schach gegen seinen langjährigen Kontrahenten, den Novag Quartz Schachcomputer.

Auf Glückssuche

Zum Werk von Klaus Zylla

Die Groteske ist die Göttin der Subversion, und Klaus Zylla ist einer ihrer bildmächtigsten Propheten.

Die Groteske tritt immer da auf, wo es gilt, Widerstand zu leisten. Und zwar im Großen wie im Kleinen, im Persönlichen wie im Politischen. Wo es gilt, sich gegen die Übel der Welt zur Wehr zu setzen, die uns keiner so beredt vor Augen geführt hat wie William Shakespeares melancholischer Held „Hamlet“.

In seinem berühmten Monolog über Sein oder Nicht-Sein treten an, um uns zu deprimieren: „Der Zeiten Spott und Geißel, des Mächtigen Druck, des Stolzen Misshandlungen, verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub, der Übermut der Ämter und die Schmach, die Unwert schweigendem Verdienst erweist.“ All diese existenziellen Zumutungen zu parieren und mit Hilfe der Groteske in Schach zu halten ist für den Menschen eine äußerst heikle und sehr aktive Herausforderung.

Das Widerstehen ist im Gegensatz zum eher passiven Überstehen kämpferisch. Letzterem geht es in erster Linie ums Ertragen und Überleben aller möglichen Widrigkeiten. Das empfahl uns angesichts des Zivilisationsbruchs des Ersten Weltkriegs und der sich damals wie heute am gesellschaftlichen Horizont abzeichnenden Dystopien in einer berühmt gewordenen Sentenz der Dichter Rainer Maria Rilke: „Wer spricht vom Siegen. Überstehen ist alles.“

Klaus Zylla, geboren und groß geworden in der 1989 untergegangenen DDR, haben Natur und Erziehung mit einem angenehm inoffensiven Charakter gesegnet. Er verfügt über zivilisierte Ansichten, ein freundliches Wesen und höfliche Umgangsformen, wie sie heute inmitten einer allgemeinen Verwilderung der Sitten leider allzu selten geworden sind.

Sie haben ihn in seinem Leben vielleicht nicht zum Kämpfer prädestiniert, der für das, was er glaubt und für richtig hält, auf die Barrikaden steigt. Aber sie haben ihn empfindlich gemacht gegenüber jeder platten Indoktrination und untauglich dafür, seinerzeit wie so viele seiner Landsleute in der DDR im Gleichschritt hin „zur Sonne, zur Freiheit“ marschieren zu wollen.

Nicht, dass Zylla sich nicht auch nach Sonne und Freiheit gesehnt hätte; das tut er bis heute. Nur hat er nie daran geglaubt, sie dort zu finden, wo der Staat sie aufscheinen sah. Seine Vorstellung vom Glück kam in den lauten Parolen der Propaganda des Arbeiter- und Bauernstaates nicht vor und auch nicht in den Glaubenssätzen der Werktätigen, die sich um den Aufbau des Sozialismus sorgten.

Seine Helden waren eher die um Selbstfindung bemühten Künstler und Selbstdenker, die im Sinne Kants und seines kanonischen Diktums der Aufklärung entschlossen waren, sich ihres Verstandes „ohne Anleitung eines anderen“ zu bedienen, um die Rätsel der Conditio humana auf eigene Faust zu lösen.

Mit dieser Haltung war Zylla für die Ausbildung zum Künstler an jeder der staatlichen Hochschulen in der DDR verloren. Wiederholt wurde er gezwungen, sein Studium aufzugeben, weil den Professoren nicht gefiel, was ihr Schüler schuf.

Die Darstellung der Ikonen des Sozialismus – tapfere, Kinder gebärende, sie erziehende und zugleich in der Produktion tätige Mütter sowie heldenhafte, opferbereite Soldaten, Bauern, Industriearbeiter und Intellektuelle im Dienste des gesellschaftlichen Kollektivs – war Zyllas Sache nicht. Sie wollten ihm einfach nicht so gelingen, wie es von ihm erwartet wurde. Sie gerieten ihm eher zur Karikatur, der kleinen Schwester der Groteske, als zu glaubhaften Vorbildern. Kein Wunder, war Zylla doch selbst nicht überzeugt von ihnen. Im Grunde wiederholte sich in seinem künstlerischen Widerstand gegen den Staat der Gründungsakt der Groteske.

Der Begriff stammt ursprünglich aus der Renaissance. Bei Bauarbeiten in Rom fand man in einer Höhle (ital.: grotta) Wandmalereien aus der Antike, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Sie konterkarierten die traditionellen Vorstellungen vom Guten, Wahren und Schönen und setzten das Regellose und Bizarre, das Fantasievolle und Fantastische ins Recht. Damit gaben sie auch den Anstoß, der in der Renaissance am Ende zur Ausarbeitung des Manierismus geführt hat.

Übertreibungen, Regelverstöße, und die Verzerrung von Welt und Wirklichkeit sind heute in der Kunst längst kanonisiert. Auch das Kippen der Genres, die Nähe von Komödie und Tragödie, wofür Samuel Beckett die provozierende Sentenz geprägt hat: „Nichts ist komischer als das Unglück.“ Und mit der er die Allianz paradoxer Lebensumstände brillant auf den Begriff gebracht hat.

In der bildenden Kunst der Gegenwart gibt es kaum einen zweiten Künstler, der die Grammatik des Grotesken so konsequent zu seiner Bildsprache gemacht hat wie Klaus Zylla. Selbst nach dem Zusammenbruch der DDR hat er ihre Kraft in seinem Werk nicht nur bewahrt, sondern noch gesteigert. Was erstaunlich genug ist, war dem Künstler damit doch prima vista die Reibungsfläche seiner Kunst abhandengekommen. Aber es geht in Zyllas Werken eben nicht um eine an der Karikatur interessierte Kritik der bestehenden Verhältnisse, sondern vielmehr um eine existenzielle, sich am Universellen orientierende Phänomenologie des Menschen.

Um sie zu zeichnen und zu malen, holt der Künstler weit aus. In seiner retrospektiv angelegten Ausstellung in der hannoverschen Galerie Falkenbarg beginnt seine groteske Bestandsaufnahme in der Jungsteinzeit, als die Menschen sich in Jäger und Sammler schieden und endet im schicksalsschweren Jahr 1989, als die beiden deutschen Staaten wieder zusammenfanden. Oder als, in den Worten Willy Brands, wieder zusammenwachsen sollte, was ursprünglich zusammengehörte.

Die Bilder der „Urjäger, südlich des Eises“ aus dem Jahr 2013 formieren sich – wie es häufig im Werk von Klaus Zylla der Fall ist – zur Serie, um auf diese Weise unterschiedliche Facetten eines Themas zu exponieren. Serien haben für den bildenden Künstler den Vorteil, über sein Sujet ähnlich differenziert nachdenken zu können wie ein Essayist. In dieser Bildserie geht es um frühe Formen des Zusammenlebens von Menschen in Horden, die dem Einzelnen, historisch gesehen, bessere Überlebenschancen bieten sollten.

Zugleich wird in Zyllas Bildern wie in den berühmten Igel-Gleichnis Arthur Schopenhauers deutlich: Wo Menschen eng zusammenrücken, suchen sie alsbald Abstand und fahren ihre Stacheln aus. Zu allen Zeiten! Der damit verbundene Hang zur Vereinzelung wird im bloßen Nebeneinander seiner Protagonisten sichtbar. In Zyllas Werken gibt es kein wirkliches Miteinander. In den fantastischen Verzerrungen und Deformationen seines Bildpersonals lässt sich ein starker Drang nach Individualisierung und zur Idiosynkrasie erkennen.

Dazu gehören alle möglichen Hybridisierungen: Wenn beispielsweise ein Wesen mit dem Körper einer Frau und dem Kopf einer Grille ins Bild tritt. Oder wenn Pflanzliches und Menschliches sich miteinander mischen. Groteske Größenverhältnisse und Proportionen sorgen gleichfalls für Disharmonien in der Gruppe und machen deutlich, dass jeder Uniformierung und Vereinheitlichung ein starker persönlicher Gestaltungs-und Ausdruckswille entgegensteht.

Im dialektischen Mit- und Gegeneinander von Einzelnem und Gruppe, Individuum und Kollektiv dieser Bilder leuchten in verschlüsselter Weise wohl auch Erinnerungen Zyllas an persönliche Konfrontationen mit dem DDR-Staat auf. Dabei ist fabelhaft, wie er durch den Einsatz rein künstlerischer Mittel das historische Thema an die Gegenwart zurückbindet. Neben Kohlestift und Ölfarbe gehört zur Mischtechnik dieser Bilder auch der Einsatz von Gips. Er lässt den Bildgrund partiell wie eine Mauer erscheinen und seine Bildfiguren wie zeitgenössische Graffiti. Bis hin zu kalligrafischen Schriftkürzeln, die uns an Tags erinnern. Wahrscheinlich sind alle Werke Zyllas, so hermetisch sie auch aussehen mögen, autobiografisch grundiert.

Darauf deuten jedenfalls die Texte hin, die in seinen Bildern auftauchen. Sie haben immer etwas mit der persönlichen Lektüre des Künstlers zu tun. Mit Büchern, die Klaus Zylla gelesen hat und die ihn beeindruckt – oder mehr noch – geprägt haben. In seiner Malerei erfahren diese Lesefrüchte eine beeindruckende Transformation: Die Texte werden zu Wortbildern, während ihre Formen zu Sinnbildern werden. Dabei kommt es sowohl auf der Text- als auch auf der Bildebene zu einer innigen osmotischen Beziehung. Der Sinn zieht ein in die Gestaltung der Form und die sinnhaltige Form prägt wiederum sehr stark, welche Vorstellung wir mit ihr verbinden.

So kooperieren und interagieren in Zyllas Werken Text und Bild nicht weniger gelingend miteinander als Farbe und Linie. Es gibt keinen Zweifel, dass das Werk des reflektierten Künstlers primär von der Linie bestimmt wird. Sensibilisiert für die Kraft der Linie und bestärkt für ihre Bedeutung hat ihn sicher auch seine grafische Ausbildung.

Uns hat der alte Renaissancestreit zwischen den Akademien von Florenz und Venedig, was Vorrang haben sollte in der Malerei, coloriti oder disegno, gelehrt, dass mit dem Auftritt von Farbe und Linie, stets ein spezifischer Blick auf die Welt verbunden ist. Die Linie ist in erster Linie ein Medium des Konstruierens und Kalkulierens, während die Farbe dafür sorgt, dass wir die Wirklichkeit durch das Prisma des Gefühls wahrnehmen. So rational das eine ist, so emotional das andere.

Aber obwohl die Linie im Werk Zyllas sehr stark ausgeprägt ist, hat sie die Farbe doch keineswegs aus seinen Bildern verdrängt. Zwar gibt es vor allem in der Reihe der Köpfe aus 2018 viele, die auf nur wenige Farbtöne gestimmt sind. Aber die haben es in sich! Mit Rot, Blau, Grün oder Grau geben sie für die Rezeption der Bilder eine bestimmte Temperatur vor. Stets herrscht in Zyllas Werken zwischen Farbe und Linie eine wohl abgestimmte Konkordanz. Ähnlich verhält es sich, wenn dynamische Pinselschwünge, grobe Spachtelspuren und filigrane Kohlezeichnungen in der Komposition aufeinandertreffen und die Textur seiner Bilder bestimmen.

Die Porträts der Köpfe, „o. T.“ (2018), bestechen durch ihren pointierten Strich. Der sitzt indes nicht auf der Farbe, sondern ist aus der Farbe herausgegraben und legt so den unter der oberen Farbschicht liegenden Farbauftrag frei. Die Linien des Künstlers machen nicht einmal im Ansatz den Versuch, illusionistisch Volumina herzustellen. Sie bleiben ganz und gar flach auf der Leinwand und betonen deren zwei Dimensionen, als habe Klaus Zylla den kanonischen Imperativ des Theoretikers der New York School, Clement Greenberg, verinnerlicht: Make It flat!“ Als Glaubensakt einer Moderne, die ohne Tricks und doppelten Boden in der Kunst auskommen will.

Dabei verbinden sich Zyllas Linien ebenso erratisch wie spielerisch zu Ornamenten, aus denen Augen und Ohren, Mund, Nase, Kopfform und Körper wachsen. Die grotesken Gebilde erinnern an den Dadaismus, die Art brut, den Surrealismus und auch an Kinderzeichnungen. Wobei Kinder ganz sicher nicht in der Lage wären, so elaboriert, präzise, planvoll und auch konsequent exaltiert zu Werke zu gehen wie Zylla. Die Porträts verfügen jedes für sich über einen ganz und gar personalen Gestus und zugleich verkörpern sie einen bestimmten Typus, sind ebenso individuell wie überindividuell. Hinter den hoch artifiziellen Gesichtern taucht der Brutale und Tumbe ebenso auf wie der Kasper, der Verspielte, Verschlossene und Neugierige.

Auch diese Reihe formiert sich zur Serie. Nichts anders als die „Urjäger, südlich des Eises“ oder die Reihe „La Terra Promessa“ von Klaus Zylla. Die Vorstellung eines gelobten Landes, in das man irgendwann aufbrechen wird und in dem man, einmal angekommen, in Glückseligkeit lebt, ist wahrscheinlich ebenso alt wie die Menschheit. Schon immer war das Versprechen auf ein Land, in dem Milch und Honig fließen, umso süßer, desto härter sich die Realität darstellte.

In „La Terra Promessa IV“ (2016) liest man links im Bild in italienischer Sprache und darunter in deutscher Übersetzung, wie mit weißer Kreide auf eine dunkle Tafel geschrieben, die Sätze des verehrten Nationaldichters Guiseppe Ungaretti: „Kein Wachen mehr und kein Schlafen / und abwesend sei mir aus meinem müden Fleisch / der pausenlos quälende Wunsch nach Stärkung von Dir her.“

Und wie in vielen anderen Bildern des Künstlers streckt auch hier in ebenso rührender wie vergeblicher Suche ein Mensch nach einem anderen Hände und Arme aus. Über ihnen ein unförmig geflügeltes Wesen als ein missratenes Echo der Engel Raffaels. Denn es gibt keinen Bund fürs Leben zu besiegeln, nur Einsamkeit zu betrauern, Zerrissenheit, Alleinsein und Schmerz. „Nichts ist komischer als das Unglück.“ Auch hier. Das gelobte Land und die Liebe – eine Schimäre.

Dabei mag einem der uranfängliche Grund dieses Unglücks einfallen, wie ihn Platon im „Gastmahl“ erzählt. In seligen Zeiten hatten die Menschen Kugelgestalt besessen, waren komplett und glücklich gewesen. Doch hatten sie dabei vergessen, die Götter zu ehren und ihnen zu dienen, die sie daraufhin in ihrem Zorn spalteten. Seitdem irren die Menschen durch die Welt, immer auf der Suche nach ihrer fehlenden Hälfte. Ohne sie findet das „müde Fleisch“ keinen Frieden, klopft in ihm „der pausenlos quälende Wunsch nach Stärkung.“ Ein irrwitziges und groteskes Schauspiel durch alle Zeiten und Räume hindurch bis in die Gegenwart. Als spielten die Götter knabengleich ein mutwilliges Spiel mit den Menschen. Auf sie schaut als hochfahrender Demiurg und herablassender Dandy auch der überlegene Schiffsingenieur Álvaro de Campos. Hinter diesem Heteronym verbirgt sich der von Klaus Zylla verehrte portugiesische Dichter Fernando Pessoa. Sein de Campos ist ein Meister der dithyrambischen Wortkaskaden und der großen, generalstabsmäßig geplanten Ode. Aus einer von ihnen, der „Triumph-Ode“, stammen die Verse, die in eines von Zyllas Gemälden gewandert sind: „Entzückendes Menschenvolk, / das wie die Hunde lebt, / unterhalb jeder Moral, / für das keine Religion / und kein Kunstwerk geschaffen / und keine Politik bestimmt ist! / Wie lieb ich Euch alle, weil ihr so seid / zu niedrig, um moralisch zu sein; nicht gut, / nicht böse, unerreichbar für jeden Fortschritt, / prächtige Fauna vom Meeresgrund des Lebens.

Großartig die unterseeische Stimmung, die maritimen Farben und Motive, die Zylla, dem Text angemessen, für sein Gemälde „Entzückendes Menschenvolk“ (2018) gefunden hat. Die Popanz-Depotenzierung, wie Wolfgang Büttner einmal sehr treffend die Entthronung der Mächtigen in der neo-dadaistischen und grotesken Kunst genannt hat, findet hier in raffinierter Weise als Selbstentlarvung des Dichters statt.

Aber auch wenn Zylla sich mit Vasco da Gama einer der Heldenfiguren aus der Geschichte Portugals annimmt, einem Land, das er liebt und in dem er jedes Jahr einige Monate lebt und arbeitet, schreckt er vor beißender Kritik nicht zurück. In seinem Gemälde „Vasco“ (2006) wird der kühne Entdecker des Seewegs nach Indien als gemütlicher Schönwetter-Kapitän gezeichnet, unterwegs auf einem harmlosen Dampfer statt eines mächtigen Viermasters zu einer Art gemütlicher Kaffeefahrt.

Nicht als jemand, der zur Reise seines Lebens aufbricht, um das Pfeffermonopol der venezianischen Händler zu brechen und seinem Heimatland wie sich selbst Ruhm und Reichtum zu bescheren. Noch dazu scheint er, behäbig und dick, etwas kurzsichtig zu sein und froh, dass ihm eine schlanke, Pinsel schwingende Frau, die sich ostentativ in den Vordergrund drängt, energisch den Weg zeigt und wo es eigentlich langgeht.

Politische Geschichte, näher an unserer Zeit, thematisiert Klaus Zyllas Gemälde „Land unter“ (2017). Seine groteske Topografie ist gleichfalls im maritimen Milieu angesiedelt, obwohl das Land, um das es hier geht, keineswegs am Meer liegt. Das Datum, 9.XI.17, das der Künstler unter seinen Namenszug im Bild notiert hat zusammen mit dem in Klammern gesetzten Zusatz, 28. Jahrestag, weist uns den Weg zum Verständnis.

Das Land, das hier zum einen metaphorisch unter Wasser liegt, zum anderen aber tatsächlich untergegangen ist, ist die ehemalige DDR. Der neunte November, auf den das Bild verweist, ist der Tag des Falls der berühmt berüchtigten Mauer, die die beiden deutschen Staaten trennte, und damit der Anfang vom Ende der DDR.

Obwohl der Künstler diesem Land zu wenig Dank verpflichtet war, empfand er keinerlei Genugtuung oder Triumphgefühle bei dem, was dann kam. Die Ereignisse nach dem Mauerfall zeigten, dass es weniger um eine Einigung zweier souveräner Staaten ging als um eine krude Übernahme der DDR durch die BRD. Die Verse eines Dichterfreundes Zyllas aus dem Osten, die in das Bild gewandert sind, machen das deutlich: „Land unter / Ein schräger Essigmond / ein gekentertes Boot / mit ihren Haaren / webte die Meerjungfrau / das Garn für die / Schleppnetze.“

Im gekenterten Boot erkennen wir die gescheiterte DDR, in der Meerjungfrau die Verlockungen des Kapitalismus. Für Klaus Zylla, den Propheten der Groteske, ist unmittelbar klar, dass der BRD-Kapitalismus ebenso wenig das Paradies darstellt wie der gescheiterte DDR-Sozialismus.

Glück, wie schwer es auch fällt, können wir, wenn überhaupt, nur in uns selbst finden.